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Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Indien Schaut mehr auf Indien!

Ein Gastbeitrag von Garima Mohan und Thorsten Benner
Erstaunlich, dass es hierzulande so wenig politisches Interesse an Indien gibt. Dabei ist das Land wirtschaftlich attraktiv, geopolitisch verlässlich – und eine mögliche Alternative zu China, finden unsere Gastautoren.
Frau mit einer Maske des indischen Premiers Narendra Modi auf einer Wahlkampfveranstaltung 2019

Frau mit einer Maske des indischen Premiers Narendra Modi auf einer Wahlkampfveranstaltung 2019

Foto: Anuwar Hazarika / REUTERS

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Wir sind im Bann von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und fokussieren uns aus guten Gründen wieder auf Fragen der Landes- und Bündnisverteidigung in Europa. Doch das sollte nicht unseren Blick darauf verstellen, dass dieses Jahrhundert ein asiatisches, kein europäisches sein wird. Der Kern globaler wirtschaftlicher Dynamik wird in Asien sein. Mit seinen fast fünf Milliarden Menschen wird sich dort entscheiden, ob die Menschheit die Klimakrise meistern kann.

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung spricht sich richtig für »eine freie und offene indo-pazifische Region« aus. Das ist eine klare Ansage an China, das die Region seinen Hegemonialansprüchen unterwerfen möchte. Wenn Deutschland das Ziel der wirtschaftlichen Diversifizierung, also weg vom chinesischen Markt, erreichen möchte, dann geht das nur mithilfe großer alternativer Märkte in Asien. Wir müssen deshalb viel mehr in die Beziehungen zu den wichtigen Ländern Asiens investieren.

Es war also nachvollziehbar, dass der Bundeskanzler diese Woche zum G7-Partner Japan nach Tokio gereist ist  – unbeeindruckt von der Kritik der CDU/CSU am Zeitpunkt der Reise. Ebenso ist es sehr zu begrüßen, dass sich das gesamte Bundeskabinett am Montag in Berlin Zeit für die deutsch-indischen Regierungskonsultationen mit Premier Narendra Modi und seinem Kabinett nimmt.

Die Regierung sollte die Gelegenheit nutzen, das Versprechen des Koalitionsvertrags »der Vertiefung unserer strategischen Partnerschaft mit Indien« mit Leben zu füllen. Bislang hat Deutschland das Potenzial der Beziehungen zu Indien mit seinem riesigen Markt von 1,3 Milliarden Einwohnern nicht ansatzweise ausgeschöpft. Das Handelsvolumen mit Indien beträgt nur rund ein Zehntel des Volumens mit China.

Gleichzeitig haben Deutschland und Indien, insbesondere mit Blick auf die geostrategische Rivalität zu China, starke gemeinsame Interessen. Deutschland sollte weg von den oft beschworenen Hoffnungen einer »Wertepartnerschaft« hin zu einer nüchternen, aber tragfähigen gesamteuropäisch eingebetteten »Interessenpartnerschaft« mit Indien steuern.

Wenn man die Beziehungen vor allem danach ausrichtet, dass Indien als weltweit größte Demokratie »Wertepartner« ist, stößt man schnell an Grenzen. In westlichen Demokratieindizes rutscht Indien seit Jahren ab, auch die indische Zivilgesellschaft kritisiert Modis Herrschaftspraxis lautstark. Schnell frustriert wird man auch, wenn man erwartet, dass Indien sich als gleich gesinnte Demokratie eindeutig an der Seite Europas gegen Russland positioniert. Nicht nur ist Indien generell skeptisch gegenüber der westlichen Sanktionspraxis. Delhi ist im Rüstungsbereich stark von Moskau abhängig. Außerdem ist Indien besorgt, dass Russland sich weiter Peking annähert, das schon jetzt Indiens Erzrivalen Pakistan unterstützt.

Diese Annäherung möchte man in Delhi jetzt nicht noch durch eine Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau befeuern . Aber Indiens Beziehung zu Moskau hat wenig mit der »grenzenlosen Partnerschaft« gemein, die der chinesische Präsident Xi Jinping mit dem russischen Präsidenten Putin verkündet hat. So hat sich Indien zwar in der Uno bei Abstimmungen zu Russlands Angriffskrieg enthalten, jedoch gleichzeitig die Massaker in Butcha eindeutig verurteilt .

Es bringt jedoch wenig, Indien öffentlich zu stärkeren Verurteilungen Moskaus aufzufordern. Diese Erfahrung mussten mehrere europäische Außenminister diese Woche in Delhi beim Raisina-Dialog, dem indischen Gegenstück zur Münchner Sicherheitskonferenz machen. Auf ihre Nachfragen zu Indiens Positionierung fingen sie sich bissige Repliken vom indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar ein.

Stärkere militärische Kooperation anbieten

Viel produktiver wäre es, Indien Alternativen zu russischer Waffentechnologie anzubieten, zumal Moskau als Lieferant aufgrund der westlichen Technologiesanktionen in Zukunft viel weniger verlässlich sein wird. Großbritannien und Frankreich haben dies schon mit Nachdruck getan. Berlin sollte ebenfalls konkrete Angebote machen, wie Deutschland und insbesondere die Rüstungsindustrie stärker mit Indien militärisch kooperieren können.

Bislang krankten die seit 2011 im zweijährigen Turnus stattfindenden Regierungskonsultationen auf beiden Seiten an einer gewissen mangelnden Ambition sowohl in Zielsetzung als auch in der Umsetzung. Das lag auf deutscher Seite auch daran, dass man Indien als weit weniger wichtigen Partner als China ansah. Und gleichzeitig war die Zusammenarbeit mit China für die deutsche Seite lange Zeit effizienter als mit dem oft noch umständlicher bürokratisierten Indien. Das führte zu einer großen Ernüchterung und auch Unterschätzung des Potenzials Indiens auf deutscher Seite. Heute liegen die Dinge anders. Es dominiert die Ernüchterung mit Blick auf China: sowohl in Bezug auf den chinesischen Markt als auch in Bezug auf das chinesische Regime.

Für Jörg Wuttke, BASF-Statthalter und Präsident der EU-Handelskammer in Peking, befinden sich die Möglichkeiten auf dem chinesischen Markt »im freien Fall« . Gleichzeitig wird immer klarer, dass Peking nicht davor zurückschreckt, Wirtschaftsbeziehungen als politische Waffe zu nutzen. Dies hat China demonstriert, als es Produkte deutscher Firmen mit litauischen Komponenten den Marktzugang verweigerte, um politisch Druck auf Litauen auszuüben. Wirtschaftliche Verflechtung mit China sollten wir heute als so riskant wie mit Russland ansehen.

Geschäfte mit Indien könnten einfacher sein als mit China

Indien hingegen offeriert große Wachstumsmöglichkeiten kombiniert mit einer geopolitischen Verlässlichkeit. Wenn Deutschland und Europa nach vertrauensvollen Partnern bei technologischen Wertschöpfungsketten suchen, können sie in Indien anders als in China fündig werden. Europa und Indien teilen ebenso die Zielsetzung eines freien und offenen Indo-Pazifiks und stellen sich gegen chinesische Dominanzansprüche.

Diese Übereinstimmung in der geopolitischen Grundorientierung sollten Deutschland und Indien bei den Regierungskonsultationen nutzen und den Beziehungen neuen Schwung verleihen. Dazu ist es wichtig, dass bei den Beratungen nicht nur über Wirtschaftsfragen, sondern auch grundlegend über globale politische Herausforderungen diskutiert wird – mit Blick auf China, Russland und den Indo-Pazifik. Nur so können die beiden Staaten die politische Grundlage für die Zusammenarbeit festigen.

Ebenso können Deutschland und Indien die Sicherung und Diversifizierung von Wertschöpfungsketten zu einem wichtigen Thema der Kooperation machen. Im gesamteuropäischen Kontext kann das mit Indien im Rahmen des von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche in Delhi gemeinsam mit Narendra Modi vorgestellten »Trade and Technology Council« (TTC) vorangetrieben werden. Deutschland kann dazu wichtige Impulse liefern. Das TTC kann dabei ein enorm nützliches Instrument sein, weil Europa und Indien hier außerhalb der formalistischen Zwangsjacke der Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen pragmatisch zusammenarbeiten können.

Mehr Indien-Kompetenz aufbauen

Kooperationsmöglichkeiten gibt es auch im Bereich der (digitalen) Infrastrukturentwicklung, wozu Europa auch die neue Global-Gateway-Initiative nutzen kann. Diese stellt eine Alternative zu Pekings Seidenstraßeninitiative dar. Auch dies kann Deutschland mit Indien bilateral ergänzen und verstärken. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Zusammenarbeit bei grünen Technologien. Hier sucht Indien den Schulterschluss mit Deutschland und Europa. Gleichzeitig ist Indiens globaler Hebel bei der Bekämpfung der Klimakrise enorm, was die Kooperation für Deutschland besonders dringlich macht. Zur Umsetzung dieser ambitionierten Ziele sollten sich die Ministerien und die Abgeordneten zu einem Austausch auch zwischen den alle zwei Jahre stattfindenden Regierungskonsultationen verpflichten.

Gleichzeitig muss eine ambitionierte Indien-Agenda auch zwischen den Gesellschaften stärker unterfüttert werden. Das setzt zuallererst die Intensivierung einer »Indien-Kompetenz« in Deutschland voraus. In der Indologie dominieren heute Sprach- und Kulturstudien. Sanskritexpertise ist etwas Feines, aber reicht allein nicht aus. Lehrstühle und Forschungsgruppen zur gegenwärtigen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Indiens gibt es hierzulande viel zu wenige. Es ist unverständlich, wie wenig in deutschen Thinktanks in Indien-Kompetenz investiert wird. Beim größten deutschen außenpolitischen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) etwa deckt eine einzige Planstelle den gesamten indischen Subkontinent ab. Egal wie gut die Besetzung dieser Planstelle gelingt, ist dies eine unmögliche Aufgabe.

Deutsche Thinktanks investieren zu wenig in Indien-Expertise

Bei anderen Thinktanks sucht man aber oft eher vergeblich nach Indien-Expertise. Dies reflektiert das oft eher geringe Interesse von öffentlichen Zuwendungsgebern und Stiftungen, Indien-Kompetenz und Arbeit mit breiterem Asienbezug zu fördern. Regierung wie Stiftungen sollten dies ändern, sowohl durch die Förderung von auf Indien bezogene Stellen und Projekte bei einzelnen Instituten als auch durch den Aufbau eines größeren Clusters an Indien-Expertise. Dabei kann etwa die extrem erfolgreiche Investition in China-Kompetenz durch den Aufbau des Mercator Institute for China Studies (MERICS) als Vorbild dienen.

Der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ausbau von Asienkompetenz sollte einen wichtigen Schwerpunkt auf Indien legen. Daneben gilt es, zwischengesellschaftliche Austausch- und Kooperationsprogramme auszubauen, im Forschungsbereich wie in der Zivilgesellschaft. Hier sollten die Teilnehmer nicht nur Indien-Experten umfassen, sondern auch Generalisten oder solche mit einem thematischen Fokus auf einen anderen Bereich, die somit an Indien herangeführt werden. In dieser Kooperation sollte man auch die indischen Stimmen einbinden, die dem Demokratieverständnis der indischen Premiers Modi kritisch gegenüberstehen.

Als Olaf Scholz 2012 als Hamburger Regierungschef Indien besuchte, sagte er am Ende , am meisten habe ihn »der Optimismus, Herausforderungen zu bewältigen«, beeindruckt. Zehn Jahre später sollte er sich als Kanzler von diesem Optimismus anstecken lassen und mit der gesamten Regierung mehr Indien wagen.