Schoß
Andere Schreibweise: Schoss (Schweiz)
(erstellt: August 2022)
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1. Körperteile
1.1. Verhältnis von Begriffen und Körperteilen
Der Begriff „Schoß“ ist im Deutschen nicht eindeutig einem konkreten Körperteil zuzuordnen, der Begriff „Mutterschoß“ wird nur manchmal synonym dazu, meist aber bedeutungsverschieden verwendet. Im Hebräischen werden für die entsprechenden Körperteile, Körperorgane und Körperregionen verschiedene Begriffe verwendet, deren Bedeutungsbereiche sich teilweise anders als im Deutschen überlappen. Wo in deutschen Bibelübersetzungen das Wort „Schoß“ oder „Mutterschoß“ erscheint, stehen im Hebräischen unterschiedliche Vokabeln, deren Übersetzungen im Deutschen noch weitere Bedeutungen haben (→ Körper
1.1.1. Schoß
Dies ist auch der Bereich des Körpers, in dem sich die Genitalien befinden, nämlich die Vulva und der Penis mit den Hoden. Im Hebräischen ist das Wort Schoß kein → Euphemismus
1.1.2. Mutterschoß (רֶחֶם ræḥæm, auch Leib bzw. Mutterleib בֶּטֶן bæṭæn, selten מֵעֶה me‛æh Inneres)
Vom Schoß חֵיק ḥêq unterschieden wird der Mutterschoß רֶחֶם ræḥæm oder Mutterleib בֶּטֶן bæṭæn, in dem ein Kind empfangen werden und wachsen kann und aus dem heraus es geboren wird und zur Welt kommt. Es ist fraglich, inwieweit die modernen medizinischen Fachbegriffe Gebärmutter und Uterus die Aussage der hebräischen Texte treffen oder möglicherweise in ihrer Bedeutung enger sind (vgl. Bester 2007, 150). Die Vokabel wird auch für Muttertiere verwendet. Das Körperteil oder Körperorgan wird im Hebräischen synonym mit בֶּטֶן bæṭæn Bauch, teils spezifiziert als Bauch / Leib meiner bzw. der Mutter (אֵם ’em) bezeichnet, oder seltener mit מֵעֶה me‛æh Inneres.
Im weiteren Artikel wird רֶחֶם ræḥæm wo immer möglich mit Mutterschoß und בֶּטֶן bæṭæn mit Mutterleib / Leib wiedergegeben, nicht, weil hier ein exakt bestimmbarer semantischer Unterschied bestünde, sondern um die Verwendung der beiden hebräischen Termini jeweils sichtbar zu machen.
רֶחֶם ræḥæm bezeichnet im AT / in der HB nur den weiblichen Schoß oder wird im übertragenen Sinne für nicht-menschliche Zusammenhänge verwendet (s.u. 2., zum verwandten רַחֲמִים raḥǎmîm s.u. 3.). Es wird deshalb nicht durch den Zusatz „der / meiner Mutter“ präzisiert (mit Ausnahme von Num 12,12
1.1.3. Übersetzungsprobleme
Der Begriff „Schoß“ macht die Schwierigkeiten, Körper und Körperteile im Hebräischen mit einzelnen Lexemen zu erfassen und diese ins Deutsche zu übersetzen, besonders deutlich. So ist die Zuordnung einzelner Begriffe zu konkreten Körperregionen, Körperteilen oder Körperorganen schwierig, weil im Hebräischen vor allem in poetischen Texten Begriffe synonym verwendet werden (Stereometrie, d.h. Bedeutung entsteht im Zusammenspiel der Begriffe, statt durch analytische Abgrenzung der Begriffe gegeneinander). Außerdem werden im Hebräischen Körperteile in Beziehungen und Handlungen weit häufiger mitgenannt als im Deutschen, so dass in deutschen Bibelübersetzungen Formulierungen ganz ohne konkreten Körperbezug auskommen, wo das Körperteil im Hebräischen genannt wird (vgl. z.B. Gen 29,31
1.1.4. (Keine) Genitalien
Der Schoß חֵיק ḥêq und Mutterschoß רֶחֶם ræḥæm umschließen die Körperregion, in der die Genitalien liegen: die Vulva, der Penis, die Hoden, welche aber in diesem Zusammenhang nicht genannt werden. Generell werden die Genitalien im Hebräischen nicht (oder so gut wie nie) explizit benannt, sondern durch Euphemismen zugleich verhüllt und angesprochen (vgl. Schorch 2000, 13: „Euphemismen dienen zwar einerseits der Vermeidung, ihre kommunikative Funktion liegt aber andererseits ja gerade darin, das Vermiedene dennoch auszudrücken“). Dass es daneben, wie im Deutschen auch, umgangssprachliche Bezeichnungen gab, ist denkbar, dass diese nicht in biblischen Texten verwendet wurden, naheliegend, da diese als autoritative religiöse Schriften ein gehobenes Sprachniveau / Niveau repräsentieren (vgl. Brenner 1997, 38).
Schoß und Mutterschoß sind keine Euphemismen für Penis und Vulva und doch weist die Verwendung der Vokabeln häufig auch auf das hin, was nicht genannt wird. Der Art. → Körperteile
Für Geschlechtsverkehr gibt es wie für Genitalien im Deutschen kaum hochsprachliche Ausdrücke, dafür aber eine große Vielfalt mehr oder weniger umgangssprachlicher Bezeichnungen (die sich nur teilweise als Eu-phemismen einordnen lassen). Dies führt dazu, dass die Euphemismen aus dem Hebräischen im Deutschen noch einmal neu sprachlich verkleidet werden, sodass sie teilweise kaum mehr erkennbar sind.
1.2. Beziehungsaspekt
Körperteile oder Körperorgane haben im Hebräischen fast immer auch einen Beziehungsaspekt: Sie stehen häufig für die Aktion, die mit ihnen verbunden ist, und sind Teil der Beziehung, die dadurch entsteht. Wolff spricht von der „Stereometrie des Gedankenausdrucks“, die „eine Zusammenschau der menschlichen Organe mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus[setzt]“ (Wolff 1977, 22f); Schroer und Staubli betonen mit dem Begriff der „Dynamis“, dass die Dimension der Wirkung der Körperteile dabei die entscheidende ist (Schroer / Staubli 1998, 27; vgl. Geiger / Schäfer-Bossert 2003 zu Körperkonzepten; Janowski 2019 zum Zusammenwirken von Leib- und Sozialsphäre; → Körperteile
1.2.1. חֵיק ḥêq – „im / auf dem Schoß“ als Nähe und Verbundenheit
בְּחֵיק bəḥêq „auf / im Schoß“ bezeichnet einen Ort großer körperlicher Nähe. Die Formulierungen, die diese Wendung beinhalten, drücken intime Verbundenheit, Fürsorge oder Zärtlichkeit aus. Dies gilt für alle Stellen, wo ein Kind oder Kinder im oder auf dem Schoß sitzen und liegen (Rut 4,16
1.2.2. חֵיק ḥêq – „Schoß“ in euphemistischen Wendungen für Geschlechtsverkehr
1.2.3. רֶחֶם ræḥæm (Mutterschoß) und בֶּטֶן bæṭæn (Mutterleib) – Schwangerschaft, Geburt und Lebensanfang
An vielen Stellen wird der Mutterschoß רֶחֶם ræḥæm
Doch auch der frühe Tod wird mit der Wendung ausgedrückt, dass ein Kind bereits tot aus dem Mutterschoß kommt oder beim Verlassen des Mutterleibes, der Geburt, stirbt. In Num 12,12
Die → Geburt
Auch über den Mann wird gesagt, dass Nachkommen aus ihm heraus- oder hervorgehen, vgl. Ex 1,5
Die → Erstgeburt
Das geborene Kind, der Nachkomme, wird als „Frucht des Leibes bzw. Mutterleibes“ bezeichnet, der Ausdruck jedoch nie mit רֶחֶם ræḥæm (Mutterschoß), sondern immer mit בֶּטֶן bæṭæn (Mutterleib) gebildet (explizit der weibliche Leib nur Gen 30,2
Ein extremes Beispiel dafür, dass Frauen auf ihren Schoß reduziert wurden, findet sich in Ri 5,30
1.2.4. Gottesbeziehung von Anfang an
Immer wieder beginnt die Beziehung Gottes zu einem Menschen im AT / in der HB bereits in diesem frühesten Stadium der Existenz. Mehrmals wird in unterschiedlichen Vokabeln und Bildern die Vorstellung ausgedrückt, dass Gott den Menschen im Mutterleib erschafft; meist wird hier בֶּטֶן bæṭæn (Mutterleib) verwendet (Ps 139,13
Die positive Gottesbeziehung beginnt für den Gottesknecht (Jes 49,1.5
1.2.5. Kinder und Kinderlosigkeit aus Gottes Hand
In den Texten des AT / der HB liegt es in Gottes Macht, ob Frauen Kinder bekommen können (vgl. Hos 9,14
2. Übertragene Bedeutung
2.1. Schoß als Ursprung im nicht-körperlichen Sinne
In poetischen Texten ist der Schoß, aus dem etwas hervorgeht, Teil der Geburtsmetaphorik, so dass Hi 38,29
2.2. חֵיק ḥêq als Gewandbausch oder Gewandfalte
Mit חֵיק ḥêq wird nicht immer der Schoß, sondern an manchen Stellen auch der Teil der Kleidung oder des Gewands bezeichnet, der sich im Bereich des Schoßes befindet, die Falte oberhalb des Gürtels, die ebenfalls etwas aufnehmen kann. In diese Falte soll der Angesprochene in Ex 4,6f
2.3. חֵיק ḥêq in Drohformeln
An einigen Stellen wird die Drohung geäußert, dass etwas in den Schoß חֵיק ḥêq der Verursacher zurückkehren oder vergolten werden soll, so z.B. der Hohn gegen Gott in Ps 79,12
3. רַחֲמִים raḥǎmîm Erbarmen und das Verhältnis zu רֶחֶם ræḥæm Mutterschoß
Das hebräische Nomen רַחֲמִים raḥǎmîm Erbarmen (→ Gnade / Barmherzigkeit
Im Hebräischen gibt es noch weitere Belege dafür, dass das Innere des Körpers oder innere Organe als Sitz der Empfindungen verstanden werden (vgl. Schroer / Staubli 1998, 75-89; Wolff 1977, 102-106). Die Verbindung von Mutterschoß רֶחֶם ræḥæm und Erbarmen entspricht diesem Muster.
So wird das Erbarmen, das im AT / in der HB für Frauen, Männer und ganz besonders für Gott ausgesagt wird, näher qualifiziert durch die Geborgenheit im Mutterleib und die darin bestehende Beziehung von Mutter und Kind. Umgekehrt impliziert dies, dass diese mütterliche Beziehung eine barmherzige ist. Eine wesentliche Eigenschaft Gottes wird damit durch die semantische Nähe zum Mutterschoß mit Weiblichkeit zusammengedacht.
Die Unterscheidung von sex und gender ist hier hilfreich, um die Bedeutung dieser semantischen Zusammenhänge präziser zu bestimmen (vgl. Grohmann 2007, 131): Eine Gebärmutter haben (i.d.R., aber nicht immer ein biologisch weibliches Geschlechtsmerkmal, also sex) führt nicht zwangsläufig zum Mutter-Sein, zu Mütterlichkeit oder zu mütterlichem Erbarmen. Trotzdem ist all dies häufig, aber nicht ausschließlich Teil weiblicher sozialer Geschlechterrollen (gender). Auch Männer und vor allem Gott zeigen in Texten des AT / der HB Erbarmen als Verhalten oder Eigenschaft (vgl. Schroer 2010, 44-46; zur Beschreibung Gottes in menschlichen Rollen s. → Anthropomorphismus
Es ist schwierig, diesen Zusammenhang auch in der deutschen Übersetzung des Begriffs sichtbar zu machen. Für „sich erbarmen“ רחם rḥm schlägt Grohmann in Anlehnung an Annemarie Ohler „mitleben lassen“ vor (Grohmann 2009, 374), und Schroer und Staubli sprechen für die רַחֲמִים raḥǎmîm Gottes von der „Mutterschößigkeit Gottes“ (86).
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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Abbildungsverzeichnis
- Ägyptische Bronzefigur der Isis mit dem Kind auf dem Schoß (6./5. Jh. v. Chr.). Aus: Schroer 2013, 129.
- Abbildung einer sich entschleiernden Göttin, die einem Wettergott gegenübersteht; altsyrisches Rollsiegel aus Meggido. Aus: Kehl / Uehlinger 2001, 42, Abb. 30
- Nackte Göttin, gerahmt von Zweigen als Symbolen der Fruchtbarkeit und Vegetation auf Stempelsiegeln der Mittelbronze-Zeit aus dem syrischen Raum. Aus: Kehl / Uehlinger 2001, 30, Abb. 11b und 12b
- Simson und Delila (Lucas Cranach d. Ä.; 1472-1553). Aus: Art. Delila (wibilex), Abb. 3.
- Aus einem Modell gepresste Göttinnenfigurine mit Brüsten, an denen Kinder saugen, und enthülltem Schambereich, in Kombination mit Zweigen oder Bäumen und Ziegen als weiteren Fruchtbarkeitssymbolen, aus Revadim, Israel / Palästina 1250 v. Chr. Aus: Schroer 2010, 48, Abb. 16.
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